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ANTI

Studierende und das Team von raum&designstrategien
Jahresthema 2009 / 2010
raum&designstrategien Das 20-ste Jahrhundert bildet zweifellos – als Schnelldurchlauf betrachtet  - eine Aneinanderreihung großer Idealismen. Einer zielstrebiger, besser und lauter als der Andere, und beinahe jeder einzelne begleitet von einer bzw. mehreren dementsprechenden ANTI – Strömung.
Ein maßgeblicher Unterschied von vorne weg schreitenden Idealvorstellungen, selbst eine weitere Reihung vorangegangener Entwicklungen, und parallel laufenden Gegenströmungen und Alternativen, besteht sehr wohl darin, dass vor allem die ANTI – Position ihre inhaltliche Berechtigung eben im „Dagegen“ findet und dadurch sich unweigerlich in einem dualistischen Abhängigkeitsverhältnis befindet.
Es stellt sich also die Frage, ob es nicht möglich wäre den Begriff des ANTI aus dem Dualismus heraus zu lösen, ihm die Notwendigkeit einer Ideologie zu nehmen und ihn einzubetten in ein pluralistisches Diskursverhalten, ohne dabei die tiefe Verankerung, Akzeptanz und das Bewusstsein des „Scheiterns“ zu verlieren. Denn genau dieses tief menschliche Scheitern ist es, welches ideologische und eindimensionale Vorstellungsvisionen nicht beinhalten.

Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, und niemand wird bezweifeln, dass er seine Daseinsberechtigung hat, dann muss es auch etwas geben, dass man M
öglichkeitssinn nennen kann. Wer ihn besitzt, sagt beispielsweise nicht: Hier ist dies oder das geschehen, wir geschehen, muss geschehen; sondern er erfindet: Hier könnte, sollte oder müsste geschehen; und wenn man ihm von irgendetwas erklärt, dass es so sei, dann denkt er: Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein. So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebenso gut sein könnte, zu denken und das , was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.

Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Rowohlt 1970. S.16

Möglicherweise gibt es wenige Sätze, die den Geist der Moderne treffender zu Ausdruck bringen als dieser. In der Moderne hat der Möglichkeitssinn dank seiner inhärenten Beweglichkeit einen Siegeszug über die Wirklichkeit angetreten, von dem sich diese nicht mehr zu erholen scheint; der Möglichkeitssinn hat sich universalisiert und ist damit zu neuen, zum tatsächlichen relevanten Wirklichkeitssinn geworden. So folgenreich der Siegeszug der Möglichkeiten über die Wirklichkeit gewesen ist, so mühelos hat er sich vollzogen. Denn der Möglichkeitssinn lebt von jenem es könnte auch anders sein und muss damit nicht fragen, wie es überhaupt ist. Dies verleiht ihm eine universelle Einsatzfähigkeit und grenzenlose Mobilität, welche die Wirklichkeit stets alt aussehen lässt.

Wolfgang Sützl: Vom Fest-stellen der Identität. Biometrik und Körperlichkeit; 1. Virtualisierung. Von der Möglichkeit zu Möglichkeit

ANTI - …….Begriffe wandeln sich
War zu Beginn des Jahrhunderts die Zuordnung des Begriffs bzw. des Verständnisses von „ANTI“ stark mit einem gesellschaftskritischen Beigeschmack auf die Kunst (Marcel Duchamp propagierte das Wort im Bezug auf die Kunst) bezogen, so kann man den Begriff ab den 50er Jahren zunehmend mit gesellschafts-politischen Themen in Verbindung bringen. Das Wort wird dabei im Konkreten auch als solches verwendet.
Die Verwendung im Bezug auf die Kunst geht aber auf keinen Fall verloren. Im Gegenteil reihen sich eine Menge Strömungen aneinander, welche die Begrifflichkeit  des „ANTI“ beinhalten (Situationismus, Fluxus, Punk, Wiener Aktionismus   ……).
Die Zuordnungen, so könnte man im nach hinein meinen, waren möglicherweise eher überschaubar. Vor allem hatte der Begriff „ANTI“ in gewisser Weise eine konkrete kritische Gegenposition ….. zum Beispiel im Bezug auf das Bürgerliche  ….diverse Befreiungstendenzen  ….den Krieg, ein gewisser revolutionärer Touch war stets vorhanden.
Aktuell wird ANTI häufig verwendet als Schutzbegriff …..als ein Zustand der Beruhigung, der Heilung ….auf den menschlichen Körper bezogen. ANTI,  in diesem Sinne, könnte man schon fast verwenden als einen absolut erstrebenswerten gesundheitlichen Zustand, ……….ein absoluter, „paradiesischer“ Ruhezustand (Antivirus, Antistress, Antidoping, Antispam,…………..).
ANTIKÖRPER

Felder und Spuren
Der Mensch als oszillierendes Stück Fleisch zwischen Erotik und Ekel

Die Umwelt als emotionales Nähe- oder Ferneverhältnis, und nicht als Bereich von Aufgaben, Funktionen und Mittel ökologischer oder ökonomischer Ziele. Der ANTIKÖRPER  ist entschwunden aus seiner Gefangenheit der Ästhetik und wird Verbündeter emotionaler Begierden.

Materiell betrachtet kann das dunkle Innere, im Normalfall für uns Unsichtbare des menschlichen Körpers, zu Tage treten als vorerst Lebendiges und am Übergang nach Außen noch Fließendes (Abb.1). Wir können es in diesem Moment bereits betrachten als Abstraktion eines pulsierenden Lebens. In seiner Farbe und Materialität als Synonym von der großen Liebe, aber auch vom großen Tod – als Synonym für „Verletzlichkeit von Systemen“.
Durch den Eingriff am Übergang, das Blut aufgefangen und vermischt mit reinem Latex (Flüssigkeit vom inneren der Kautschukbäume) und in Terpentin zum Stillstand gebracht, entstehen neue, beinahe erotisch anmutende, sequenzielle, körperlich- „ephemere Gebilde“.

Als körperlich oszillierende Membran, materiell betrachtet, kann die menschliche Haut – „skin“ (Abb.2) - verstanden werden.
Durch jegliches Handeln und seine Anwesenheit hinterlässt der Mensch „Spuren in und an seiner Umwelt“.
Es sind nicht nur materielle Spuren, zum Beispiel als Narben oder Furchen -, sondern eben auch emotionale, welche sich an unserem Körper und unserer Umwelt abbilden.

Gehen wir einen Schritt weiter nach Außen unserer Abbildungsmöglichkeiten so treten wir schnell unserem Spiegelbild (Abb.3) gegenüber.
„Der Spiegel als Synonym für Erkenntnis, Wahrheit und Identität. Der Spiegel bietet die Möglichkeit etwas zu betrachten, das ansonsten – so wie eben das tief Innere – verborgen bleiben würde. Als künstliches Sehorgan macht er die Vorstellung vom ganzen Körper bildhaft.
Zerbrochen und Zersplittert nimmt man nur mehr Fragmente seines Selbstbildes wahr“.
Die Gesamtheit eines möglichen Bildes existiert in der Vorstellung – als sequenzielles Fragment eines Ganzen.


ANTISTÄTTE

Schwellen und Grenzen
Zwischenzeitliche Verortungen und Positionierungen im Zwiespalt räumlicher Notwendigkeiten

Uns begleitende Schwellen und Grenzen zeichnen Orte meist eher aus und machen diese vor allem spürbar und greifbar, als der anscheinende Ort an sich, der sich letzten Endes auch oft nur über eine eigenartige Leere definiert, in der wir uns bewegen.
Es ist genau dieses nicht vorhanden sein der Leere,  das möglicherweise diese ANTISTÄTTE ausmacht in der wir uns versuchen aufzuhalten. Räumlich betrachtet befinden wir uns mitten in der Oberfläche bzw. mitten in der Linie  ...mitten im Horizont - narrativ betrachtet mitten in einer Erzählung.

Das Auge kann es sein, welches uns eine Erzählung möglicherweise sichtbar macht. Durch das Dreigespann eines digitalisierten dargestellten Auges, eines analogen, und dem Auge des Betrachters selbst, wandeln wir in einer nicht greifbaren ortsbezogenen Paradoxie (Abb.4).


Können wir über das Auge die Dinge nicht mehr greifbar machen so befinden wir uns in „Sphären oder Auren“, welche im Begriff sind, unserer möglicherweise zunehmenden Kontrolle – uns selbst gegenüber – zu entschwinden. Die digitale Vernetzung kann maßgeblich dazu beitragen. Schleierartig bilden wir halb durchlässige Schutzzonen um das Gefühl einer Geborgenheit zu erzeugen. Der von uns gebildete Raum ist in Bewegung mit uns selbst (Abb.5).


Der Tatsächliche Ort ist immer ein Zwischenraum in dem wir uns befinden.  Nur durch eine spionageartige Annäherung können wir versuchen diesen sichtbar und greifbar zu machen (Abb.6).
ANTIOBJEKT

Klang und Licht

Regie und Komposition im Spannungsfeld zwischen Raum und Atmosphäre


Klang und Licht (oder nur Klang oder nur Licht) vermögen nicht greifbare Räume oder Gegenstände, Antiobjekte zu formen. Durch die zeitliche Abfolge von unvorhersehbaren Licht- und Klangereignissen werden Stimmungen und Informationsgehalt dynamisch manipuliert und so neue Atmosphären definiert. Der entstehende performative Raum taucht den Rezipienten in ein filmisches Gesamterlebnis.

Möglicherweise könnte man ein „black hole“ im physikalischen Sinne als ANTIOBJEKT schlechthin bezeichnen (Abb.7) Es könnte somit der Ursprung eines materiellen und visuellen „Nichts“ sein. An den sichtbaren Rändern liegen die für uns greifbaren Anhaltspunkte.
Visualisiert und aufgrund von Naheverhältnissen und akustischen Einflüssen, werden über generierte Kontaktfelder sphärische Statements am Übergang zum Untergang erzeugt. Das Licht macht für uns den Prozess sichtbar und ist somit Trägermaterial eines umliegenden Stillstands.


Drehen wir den Gedanken um und betrachten das Licht als ein „projiziertes Standbild“, als „Aufprall von Lichtstrahlen auf sich unregelmäßig bewegende Papierblätter“ (Abb.8), so werden für uns „freie, nicht konstante Bewegungen von Linien und Flächen ersichtlich – greifbar durch das veränderliche Spiel von Schatten und Farben“.
Für uns sichtbare statische Vermutungen erweisen sich für die BetrachterInnen als durchlässige dynamische Verhaltensweisen.

Im weitesten Sinne ist Dynamik ein sichtbares Spannungsfeld von Bewegungen, welche immer wieder von Neuem variierende Ursprünge erzeugen. Selbst am Weg zur Stille der Mitte. (Abb.9)


ANTIBILD Oberfläche und Ornament
Materialität und Abbildung im Spannungsfeld zwischen Kontext, Bedeutung, Zeichen und Symbol

Mittels ornamentaler Abstraktion wird den Motiven durch die Gleichzeitigkeit des Nebeneinanders die ursprüngliche Bedeutung genommen, sie werden aus ihrer Geschichte gerissen und letztendlich auch vom Kontext befreit. Die Zusammenhänge zwischen Funktion, Bedeutung, Raum, Oberfläche, Farbe und Atmosphäre verschieben sich. Das Antibild stellt quer durch alle Stile und Zeiten für Konzipient und Rezipient neue Bezüge und Relationen her. Erst dann, wenn man durch das Ornament hindurch sieht, ist das ursprüngliche Motiv, das als Vorlage diente, zu erkennen.

Durch die Bearbeitung eines Ausgangsbildes mittels ornamentaler Techniken geht das Ausgangsmaterial über sich hinaus und entwickelt neue Kontexte der Erscheinung.
Den Ausgang macht das Bild als fotografische Ablichtung. Mittels Kaleidoskopen (Abb.10), Falttechniken (Abb.11) oder analogen, graffitiartigen Bearbeitungen (Abb.12) entstehen im Bild abstrakt räumliche Erscheinungen.
ANTIMOBILE

Stillstand und Zeit
Konstruktion, Mechanismus und Bewegung als Elemente der Täuschung und Illusion menschlicher Vorstellungen. Die Bewegung beschäftigt den Menschen solange es ihn selbst als solchen gibt. Sind es bei Platon noch die Bewegungen um den Menschen herum (Kosmos) welche ihn vordergründig interessieren, arbeitete er spätestens seit der Industrialisierung eifrig an der Bewegung und dem Fortkommen seiner selbst – Bewegung steht diesbezüglich in engem Verhältnis zu Austausch und Information im Bezug zur Zeit.
Heute behaupten wir gerne, wir bewegen uns im „Datenhighway“ und befinden uns selbst im absoluten körperlichen Ruhezustand, oder umgekehrt, wir bewegen uns überall und fokussieren alles auf einen Ort der Ruhe. Das Ersichtlich werden einer Zusammengehörigkeit wird inszeniert über Eventveranstaltungen um die Bewegung und die Dynamik zu simulieren.
Bewegung in Bezug zu Zeit ist oft nur noch ein abstraktes Abbild eines realen Ereignisses.

Ausgehend von einem Würfel als Abstraktion eines statischen Erscheinungsbildes stellen wir mittels unterschiedlicher Bearbeitungen, Eingriffe und Einflüsse einen Faktor Zeit dar.
Die Transformation einer „zweidimensionalen Linie“ in ein dreidimensionales Objekt (Abb.13) thematisiert die Darstellung einer darin innewohnenden Zeit. Die „Geschichte des Entstehens, Wachsens und Erschaffens …zurück zum Ursprung um wieder zu Entstehen“. Es ist die Lesbarkeit einer zeitlichen Bewegung.


 

Ist die Bewegung jedoch absolut verschwunden, praktisch vakuumiert (Abb.14), so kann es nur noch das Wissen darüber sein, dass Zeit und Bewegung vorhanden war – und da wir es wissen, ist es immer noch vorhanden.
Letzen Endes ist die Zeit nur noch ein Abdruck seiner Niederschrift – die Zeitung (Abb.15).




Fotocredits: raum&designstrategien
Text: heri&salli / SPLITTERWERK / Projektzitate der Studierenden unter Anführungszeichen