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Die Symbiose

Emilia Prodinger

"Die Symbiose" © Emilia Prodinger, 2023

Mein Mini-Kinderbuch handelt von Fridolin dem Pilzmyzel, das unerwarteter Weise auf ein Stück Wurzel namens Rasputin trifft. Trotz anfänglicher Konflikte bemerken die beiden, dass sie trotz ihrer Verschiedenheit eine Sache verbindet: ihre gemeinsame Symbiose.


Gedankliche Ausführungen

In menschlichen Ordnungssystemen herrscht die gängige Hierarchie Mensch – Tier – Pflanze. Bei meinem diesjährigen Semesterprojekt, das ich im Zuge der Lehrveranstaltung „Projekt 3 – Material Dialogues” entwickelte, stellte ich mir von Beginn an die Frage, wie gerechtfertigt diese beschriebene, gesellschaftlich-implizierte Annahme ist. Studien deuten darauf hin, dass auch Pflanzen in der Lage sind, Schmerz zu empfinden. Und selbst, wenn sie dazu nicht fähig wären – würde diese Tatsache allein rechtfertigen, Pflanzen für Forschungszwecke bewusst zu manipulieren oder sie sogar zu töten?

Ohne eine für mich stimmige Antwort auf diese Frage zu finden, fühlte ich mich zunächst nicht bereit, für mein Projekt mit lebendigen Pflanzen zu arbeiten. Ich versuchte also, einen anderen Weg einzuschlagen und arbeitete ausschließlich mit abgestorbenen, von der Natur „gespendeten” Wurzelresten. Bald sollte ich jedoch feststellen, dass mich dies in vielerlei Hinsicht einschränken würde – nicht zuletzt liegt das für uns Menschen greifbarste Potenzial von Wurzeln vermutlich in ihrem Wachstum begründet. Dennoch barg meine Entscheidung ein überraschendes Potenzial, denn sie stellte mich vor neue Herausforderungen. Und diese hinderten mich wiederum nicht am Gewinn einer wichtigen Erkenntnis, die ich mir mit der Zeit auch für mich selbst eingestehen musste:

Mich als Mensch zu hundert Prozent „ethisch korrekt” zu verhalten – sei es aufgrund eigener Unachtsamkeit oder in Bezug auf Ernährung – ist schlichtweg unmöglich. Früher oder später bleibt auch mir nichts anderes übrig, als den Pflanzen an den Kragen zu gehen. Als Vegetarierin wird mir das – wenn ich es zulasse – täglich bewusst. Bedeutet das aber, dass ich nun nie mehr Karotten oder Radieschen essen darf?

Ich merkte bald, dass ich mich in einer moralischen Zwickmühle befand, doch auch diese Tatsache schloss für mich folgenden Wunsch nicht aus: Ich wollte meinen Wurzeln eine Stimme geben. Die Möglichkeit, sie neben erwähnenswerter wissenschaftlicher Fakten als Wesen zu betrachten. Ich verspürte den Drang, mein gewähltes Material näher kennenzulernen, zu sehen, wie es „zwischen den Zeilen” aussieht. Ich entschied mich also, die Wurzeln unter einem Mikroskop näher anzusehen. Dazu kontaktierte ich verschiedene Institutionen, die mit Mikroskopen arbeiten und diese auch Laien für Forschungszwecke zur Verfügung stellen. Am „Open Lab” der JKU wurde ich schließlich fündig, wo ich an zwei nette junge Student:innen des Polymerischen Instituts verwiesen wurde. Sie legten mir das Werkzeug an die Hand, um mithilfe eines Digitalmikroskops Aufnahmen von einem Stück Wurzel und einer Pilzmyzel-Probe anzufertigen und diese direkt am Computer abzuspeichern. Ich war erstaunt, und als ich schließlich folgende Abbildung von einem kleinen Stück Pilzmyzel erhielt, wurde mir klar: Es hatte einen Namen, und den wollte ich Leser:innen meiner Geschichte, die bereits in meinem Kopf zu entstehen begann, mitteilen: Fridolin, das Pilzmyzel

Die Arbeit entstand im Rahmen des Projektes Material Dialogues
Aufgabenstellung: intensive Auseinandersetzung mit einem gewählten Material über konkrete Aufgabenstellungen; Archivierung, Dokumentation, Konzept-/Prototypentwicklung

LV: Projekt 3
LV-Leiter:innen: Monja Hirscher, Julia Moser, Hubert Lobnig

"Die Symbiose" © Emilia Prodinger, 2023

Materialforschung, 2023 
Gestaltung:Technik.Textil