Essay von Roland Gnaiger
Seite 9 bis 12
erschienen in:
Verein Landluft (Hrsg.)
Mein Engagement für das Land und seine Dörfer erwuchs aus einer Verletzung. Aufgewachsen bin ich wechselweise in einer (Klein-)Stadt und in einem Dorf. Die Räume meiner Kindheit, meinem Gedächtnis tief und körperlich eingewachsen, sind noch heute jederzeit aufrufbar: Bilder, Atmosphären, Gerüche, Raumfassungen, Blickbezüge, langsame Betriebsamkeit. Zu meinen einprägsamsten Ortserfahrungen gehört „die Allee“. Etwa einen Kilometer lang führte sie vom Haus meiner Großeltern zum Zentrum des Dorfes.
[...] Raum statt Zwischenraum: straßenartig lang, zu Plätzen geweitet, Ein- und Ausblicke, Enge und Weite im Wechsel. Umfasst wurde diese Mitte von einem „Erlebnisparcours“ aus Landgasthöfen, Jausenstationen mit Gastgärten, Rast- und Aussichtsplätzen und Gehöften, jedes eine eigene und ganze Welt. Ein Ring aus Geschichte und Geschichten.
[...] Dann ging alles ganz schnell. Die Sattlerei meines Großvaters war eines der ersten Opfer, dann starben die Bäckereien, der Greißler, der Drechsler, das Kino, der Drogist, der Buchladen, das Postamt: Wohnen über toten Sockelzonen. „Meine Allee“ wurde geflutet vom Lärm und der Abluft der neuen Umfahrungsstraße. Gewerbe- und Einkaufshallen haben die letzten Baumreihen erst kürzlich wegradiert. Bipa und Penny-Markt statt Schulweg und Allee. Komplexität, Beziehung, Struktur, Funktionsvielfalt, Schönheit, Begegnung, Raum, Lebensqualität – all das ist Baukultur. Ihr Verlust – das war meine Verletzung! Aufsatz in voller Länge.pdf
Buch: 138 Seiten, kartoniert, zahlreiche farbige Abbildungen
Erscheinungsdatum: Juni 2008
ISBN: 978-3-200-01676-7
Sprache: Deutsch
Herausgeber: Landluft - Verein für Baukultur und Kommunikation in ländlichen Räumen
Bestellungen unter: www.landluft.at