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VORTRAG

Bergsteigen im Anthropozän oder: Mit Günther Anders durch die Apokalypse

16. Juni 2025, 17.00 Uhr Kunstuniversität Linz, Hörsaal C, Hauptplatz 6

Gastvortrag von Christian Dries, in der Abteilung Kulturwissenschaften, im Rahmen des Semesterschwerpunkts zum Atomzeitalter.

Wer im Anthropozän lebt, braucht starke Nerven: Krieg und Vertreibung, Neofaschismus, Klimawandel, Artensterben, atomare Drohung – die Liste aktueller Katastrophenmeldungen, die sich zur globalen Polykrise addieren, ist endlos. Herausfordernd ist diese Lage auch für die Philosophie und andere geistes- und kulturwissenschaftliche Disziplinen. Wie können sie die hausgemachten Apokalypsen der Moderne, das neue, krisenhafte Zeitalter des Anthropozäns begreifen?

Ein möglicher Ausgangspunkt dafür ist der Philosoph, Kulturkritiker und Essayist Günther Anders, geb. Stern (1902–1992), dessen ganzes Denken um die apokalyptischen Tendenzen der Moderne – um Auschwitz, Hiroshima und andere, technologisch bedingte Formen menschengemachter Massenvernichtung – kreist. Anders zufolge reichen die üblichen geisteswissenschaftlichen Methoden nicht mehr hin, um diese ›Phänomene‹ angemessen zu erfassen. Seit seinen Studientagen war er auf der Suche nach Formen des Denkens und Schreibens, die den aktuellen und insbesondere den ungeheuerlichen Entwicklungen und Tendenzen der eigenen Gegenwart gerecht werden, die das von ihm so genannte »Monströse« nicht nur auf den Begriff bringen, sondern auch auf der Ebene der Affekte und Gefühle vermitteln. Dabei bediente er sich nicht zufällig im Reservoir der Avantgardekunst seiner Zeit: bei Dadaismus und Surrealismus, bei Brechts Theater und beim Maler George Grosz. Während seiner Exilzeit in den USA in den 40er-Jahren entstand zudem ein bis heute unveröffentlichtes Typoskript, das Günther Anders’ Denken seinen Namen gibt: »Gelegenheitsphilosophie«.

Der Vortrag rekonstruiert die Elemente und Ursprünge dieser spezifischen, von Kunst und Literatur inspirierten philosophischen Methode und versucht zu zeigen, inwiefern sie heute noch immer – oder jetzt erst recht – ein Schlüssel für das Anthropozän sein kann.

Der Soziologe Christian Dries ist Obmann der Internationalen Günther Anders-Gesellschaft und leitet seit Sommer 2023 die neu eingerichtete Günther-Anders-Forschungsstelle an der Universität Freiburg.

Tagebücher und Gedichte, S. 106