Beginn des PhD-Programms / Start of the PhD-Program:
WS 2025
Betreuung / Supervision:
Elke Bippus (ZHdK), Heidi Pretterhofer
Welche Rolle spielt der gebaute Raum als Speicher von Geschichte, Wissen und Erfahrungen bei (kollektiven) Traumatisierungen und deren transgenerationaler Transmission? Das künstlerisch-wissenschaftliche PhD-Vorhaben „Ahnen-Räume“ befragt den Zusammenhang von Trauma und Raum: Wie oder wodurch manifestiert sich die traumatisierende Wirkung von architektonischen und sozialen Räumen? Wie lassen sich die strukturellen Zusammenhänge eines kollektiven Traumas und dessen Weitergabe mit künstlerischen Mitteln sichtbar und physisch erfahrbar machen? Auf der Grundlage der Archivierung, Analyse und Aufarbeitung von traumatisierenden Raumerfahrungen soll ein Gegenort – ein physischer Erinnerungsort – entworfen werden.
Ausgehend von meiner eigenen Familiengeschichte beschäftige ich mich mit den individuellen und gesellschaftlichen Auswirkungen der sogenannten fürsorgerischen Zwangsmassnahmen (FSZM) als einem kollektiven Trauma der Schweiz. Mein besonderes Interesse gilt den Verding- und Heimkindern: Im 19. und 20. Jahrhundert wurden hunderttausende Kinder als billige Arbeitskräfte in die Landwirtschaft verdingt oder mussten in Anstalten und Heimen unter dem Deckmantel erzieherischer Massnahmen Zwangsarbeit leisten. Das Schicksal einer von Gewalterfahrungen, Ausbeutung und Missbrauch traumatisierten Kindheit ereilte auch die Grosseltern meines Vaters, die in der Zeit um den 1. Weltkrieg als Verding- und Heimkinder fremdplatziert waren. Zwangsarbeit wurde in der Schweiz erst 1981 verboten. Danach wurde die Aufarbeitung des systematischen Vergehens der Behörden über dreissig Jahre lang weitgehend tabuisiert, bevor sie durch die Initiative von Interessensgruppen und Einzelpersonen vermehrt in die Öffentlichkeit gelangte und seither auch auf politischer und wissenschaftlicher Ebene stattfindet. Für die aktuelle Tragweite und die Auswirkungen auf spätere Generationen gibt es nahezu kein gesellschaftliches Bewusstsein, ebenso wenig für die kollektive Schuld und Verantwortung. In dieser Leerstelle verortet sich die Ausgangsthese meines PhD-Vorhabens: Konkret im Fehlen eines formalen Erinnerungszeichens, das nicht ausgeblendet werden kann, da es sich mitten in unserer Gesellschaft manifestiert.
In Bezug auf meine künstlerische Praxis untersuche ich historisches und neu generiertes Quellenmaterial hinsichtlich der Lebens- und Wohnraumverhältnisse betroffener Ahn*innen mit der Frage, wie sich ihre Erfahrungen in unserem Familiensystem tradieren: Ausgangspunkt meiner Forschung bilden mehrere Gespräche mit meinen Grosseltern väterlicherseits, das private Familienarchiv meines Grossvaters mütterlicherseits sowie eine grundlegende Recherche in Gemeinde- und Staatsarchiven, in Archiven der Fürsorgeämter und Vormundschaftsbehörden sowie im Schweizer Sozialarchiv. Die gesammelten Quellen werden in Form eines Raumarchivs visualisiert und dienen als Grundlage, um mit Opfern von Fremdplatzierungen und Zwangsarbeit in einen Dialog zu treten und mittels eines dialogischen Gestaltungsprozesses einen Gedenkort für ehemalige Verding- und Heimkinder sowie (ihre) Nachfahr*innen in der Schweiz zu konzipieren und zu planen.